ESSAY

SEBASTIAN HENNIG

ZU DEN HOLZSCHNITTEN VON MATTHIAS SCHROLLER


Georg Schottel, ein Skribent des 17. Jahrhunderts schildert anhand von Dürers Grafikkunst, wie dieser  „ mit schwartzen linien und strichlein, alles das, so ihm vorgekommen, ohn allen behülf der farben, dermassen lebhaft und künstlich gerissen“. Vom Ritzen von Runen bis zum englischen „ to write“ spannt sich die Bedeutung von „reiszen“ im Grimmschen Wörterbuch. In zehn langen Spalten wird dem auf den Grund gegangen. Die frühen Holzschnittkuenstler haben ihren zeichnerischen Entwurf auf dem Holzbrett vorausschauend dem technisch Machbaren anbequemt. Die Messersprache hat die Feder geführt. Linien wurden gesetzt, die, umschnitten, Gezeichnetes im Druck vertreten sollten. Dass Dürer seine Erfindungen auch eigenhändig ins Holz schnitt, hat gewiss auf die Eigenheit seiner freien Handzeichnungen zurückgewirkt.

Es gab wohl auch in neuerer Zeit Vertreter eines linienbasierten Holzschnittes (Barlach, Svabinsky, Marcks) aber deutlicher vorherrschend war der wuchtig expressive Flächenschnitt (Nolde, Jüchser, Munch) oder das aufgelöste, lichtführende Strukturen-Gestöber (Wilhelm Rudolph). Keiner dieser, zugegebenermaßen willkürlich vereinfachenden Einteilungen lässt sich Schrollers Grafik zuordnen. Bei grundsätzlicher Offenheit geht er im Einzelnen entschieden zu Werke. Aber eingehender Betrachtung werden durchaus verschiedene Strategien unterscheidbar: Eine geringere Zahl der Blätter entsteht tatsächlich wie bei den Alten, aus der Umschneidung der Linien einer auf den Druckstock aufgetragenen Zeichnung. Er verwendet aber nicht die präzise Feder dafür, sondern eine lockere, andeutende Pinselschrift, wodurch dem Ergebnis etwas Kalligrafisches anhaftet. Skizzenhafte Aufzeichnungen können sich in monumentale Figurationen verwandeln, ohne dadurch an Lebendigkeit einzubüßen. Weißlinienschnitt überwiegt, der schimmernd und gleißend wie eine reflektierende Oberfläche den Widerschein der Dinge übermittelt. Das Licht knistert und flattert auf dem geschwärztem Grund. Es fließt zusammen zu Erinnerungen an Figuren und zerstreut sich stellenweise in ungesonderter Leuchtkraft. Ein magisches Gewebe aus Schwarz und Weiß. Diese Schnitte, die negativ abtragend entstehen, werden überwiegend auf der Platte entwickelt, anhand weniger gezeichneter Linien, die keine endgültigen Formen begrenzen sollen, sondern nur die ungefähre Richtung vorgeben. Die Unschärfe wird langsam gebündelt zur Gestalt, wobei eine osmotische Beziehung zwischen Betrachter und Objekterscheinung bestehen bleibt. In ihrer Gesamterscheinung sind diese Blätter ausgewogen, als hätte sich das Gefüge aus Licht und Schatten langsam und stetig über die Fläche geschoben wie ein Vorhang, der die Banalität des Publikums-Geplauders vom hohen Stil der Bühnensprache scheidet. Bei Großformaten verwendet Schroller zuweilen das Messer wie ein Zeichengerät. In die geschwärzte Platte wird Schnitt für Schnitt ein helles Bild eingetragen. Verletzungen der  Fläche bringen die, lange in den Wachstumsschichten des Stammes verborgene, Faser ans Licht. In der Umkehrung des Druckverfahrens sind die abgetragenen Stellen der Farbe entzogen. Von Farbe unberührt, vertreten sie in der Grafik das Licht, während den unbearbeiteten Bereichen die Druckerschwärze aufgebürdet wird.

Wie sich aus einzelnen Lichtspuren auf der schwarzen Fläche Sternbilder geordneter Figuren formieren, scheint jene anschauliche Weltraumdeutung der Alten zu bestätigen, nach der die Gestirne als Nadelstiche in einem schwarzen Firmament anzusehen wären, durch die das ewige, alldurchdringende Licht in unsere Nacht eintritt, das konkrete Licht der alles belebenden Sonne und das symbolische Licht des Geistes und der Erkenntnis in dem die offenbaren Geheimnisse dem wachen Sinn gegenübertreten. Schrollers Taktik das Hell-Dunkel zu steuern und Flächen zu beleben erinnert zuweilen an angewandte Illustrations-Holzschnitte früherer Jahrhunderte. Jüngste Arbeiten schlagen Brücken zwischen den Verfahren und kündigen das Zusammenwachsen der Experimentierfelder an.

Es ist ein Privileg der Bildenden Kunst materielle und immaterielle Erscheinung, Körper und Schemen in einer Darstellungsebene aufzuheben. Der Realismus der Bildenden Kunst erfasst auch und gerade das Wunderbare und das Unheimliche. Die Erinnerungsskizze einer lampenbestandenen Stätte an der nächtlichen Autobahn führt zu einem Holzschnittblatt, auf dem die, als irritierend empfundene Installation, sich bildkraeftig offenbart. Schirmartig setzen die Ständer ihr Licht ab. Wie eingeklappte Sonnenschirme einer unheimlichen Wirtschaft am Ruhetag oder eine Kolonie Schopftintlinge, deren makellose Fruchtkörper am Straßenrand den harten Boden durchbrochen haben, nimmt sich diese Reihung aus. Die genaue Kalkulation aller Lebensverrichtungen scheint zum Grundanliegen des abendländischen Geistes geworden zu sein. Dem entspricht eine durchgestaltete äußere Haut. Doch auf dieser entstehen ungewollte Spiegelungen, und die absurde Funktionslosigkeit oder Überkapazität mancher technischer Anlagen ergibt groteske Ornamente. Im vordersten Wagen des Vorortzuges verbinden sich die verschlossenen Türflügel mit dem lichtlosen Rückscheinwerfer der verkoppelten Lokomotive zu einem rührenden Flächenmuster. Auf der konischen Stelze einer Autobahnbrücke, lagert, wie der Abakus auf der Säule, ein nur geringer Ausschnitt der Fahrbahn. Welchen Göttern dient dieser Tempel? Die Rolltreppenanlagen im Kaufhaus, heute schon ein nostalgischerer Ort als ein orientalischer Basar, bilden schmückende Rocaillen. Dabei muss nichts verändert, gebrochen oder in seiner Bedeutung verschoben werden. Die undeutliche Bestimmung, der spielerische Ernst sind Kennzeichen einer Poesie, die gar nicht der Verfremdung oder Verklärung bedarf, sondern vorsichtig und entschieden dem Gegebenen nachforscht, mit nüchtern-strengem und zugleich hinnehmendem Ernst gegenüber dem rätselhaften Wesen zeitgenössischer Lebensformen.

Die technologische Unverbindlichkeit der zeichnerischen und malerischen Mittel verweist den Schicksalshungrigen zur Druckgrafik. Die modernen Malmittel sind in einem Maße strapazierfähig, dass fast jeder Materialfrevel ohne Konsequenzen bleibt. Einer unversehenen Helligkeit im Holzschnitt ihre Schwere zurückzugeben, ihr durch Veränderung der Umgebung wieder Dunkelheit zuzuführen, scheint dagegen eine Herausforderung. Wie sich manche aus der Grafik zur Malerei durchzuringen suchen, so kommt Matthias Schroller weither über die Malerei zur Grafik und in der Grafik über die sinnliche Radierung zum knochentrockenen Holzschnitt. Es ist ein gelinder Passweg, von Zufällen und Machbarkeiten gesäumt. Er führt über, von den japanischen Meistern angeregte, gedämpfte Farbholzschnitte und Varianten des Hell-Dunkel-Schnittes im Clair-Obscur-Verfahren der Manieristen, bis zur spannungsvollen Balance des reinen Schwarz-Weiss. Eine Fülle von Gelegenheits- und Erinnerungsskizzen bewahrt die Verbindung mit dem Ursprung. Die Umbildung der Zeichnung in den Holzschnitt erfolgt als unwillkürliche Läuterung. Mit dem Holzschnitt wird die Saite straffer gespannt und der Ton klingt reiner aus. Im beglückenden Fall des Gelingens tritt dann das zuvor erahnte Fernbild aufgehoben und gesteigert in der facettenreichen Präzision des grafischen Blattes in Erscheinung. Erschautes wird zur Mitteilung. Die Nabelschnur ist gekappt. Luft schießt in die Lungen. Spröde und klar hebt das Eigenleben eines Gebildes an. Die überlegene Einfalt der Kunst macht weitere Worte überflüssig.

© Sebastian Hennig, 2010

Dieser Aufsatz ist dem im Goldenbogenverlag erschienenen Band "COUPE ET RECOUPE"  - Druckgrafik von Matthias Schroller entnommen.

Siehe auch : www.goldenbogenverlag.de

Matthias Schroller MARCOLINI 2009
Matthias Schroller MARCOLINI 2009

OLAF BÖHM-DORES

DAS ZURÜCKWEICHEN IN DIE DISKRETE HINTERLASSENSCHAFT EINES WERKZEUGS

ZU EINIGEN HOLZSCHNITTEN VON MATTHIAS SCHROLLER

 

Eine Erfahrung, die sich vorerst nur beschreiben lässt als eine einerseits mangelhafte aber auch verheißungsvolle Unbestimmtheit, die sich selbst nach längerer und eingehender Betrachtung nicht aufklären mag: eine aporetische, scheinbar strukturlose Struktur, einundurchsichtiges Spurengeflecht, ´nach dem der Blick so ungeduldig wie vergeblich greift, nur um es schließlich unverrichteter Dinge wieder loslassen zu müssen, damit überhaupt so etwas wie eine umschreibende Verkörperung, der Hauch eines Bildes durchschimmern kann. Ganz so, als läge die Qualität mancher Blätter in der geglückten Vehinderung jedes allzudeutlichen Zugriffs, in einer verweigerten Identifizierung, um die Poesie eines Schutzraums zu hüten: eine gegenstandslose Gegenständlichkeit,die dem Auge im unmerklichen Übertritt jener Grenze wiederfährt, die sich werder ziehen noch bewohnen lässt. Nicht unähnlich dem unbestimmbaren Moment der Rückkehr einer Schrift ins Gekritzel oder eines Klangs ins Geräusch. Das näherkommende Sichentfernen einer Gestalt, eines Objekts oder einer Gegend aus einem Gestrüpp von Linien, im oszillierend unentscheidbaren Zwischenraum Zwischenraum von noch nicht und schon nicht mehr. Die Möglichkeit des Hervortretens unter der Bedingung, sich auf der Rückseite des selben Moments sogleich aufs deutlichste zu entziehen. Das Zurückweichen in die diskrete Hinterlassenschaft eines Werkzeugs - als ob nur die mit blinder Gewissheit im Material umherschweifende Kerbspur jenes knotige Dickicht hätte aufschneiden können, das in allmählicher Verdichtung zur Andeutung einer Landschaft zuwächst.

 

© Olaf Böhm-Dores, 2010