PRESSE
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Münchner Merkur, am 6. Juli 2012
Die Ruhe vor dem Sturm
Matthias Schroller zeigt in der Pasinger Fabrik Holzschnitte und Radierungen
VON CHRISTOPH KASTENBAUER
Pasing - Ein offenes Fenster, dahinter halb sichtbar ein Stuhl, daneben schwarz, die Leere – mehr ist es nicht. In Matthias Schrollers Holzschnitten und Radierungen herrschen Übersicht, Form, Struktur und doch eine Ahnung von dem, was dazwischen liegt, oder jedenfalls dazwischen liegen sollte. Referent Stefan-Maria Mittendorf, der Schrollers Ausstellung am Mittwochabend in der Pasinger Fabrik eröffnete, drückte es treffend so aus: „Das, was dazwischen liegt, ist das Entscheidende.“
Das Ergebnis dieser Kombination aus professionellem Handwerk und künstlerischer Fertigkeit ist auf den ersten Blick unscheinbar. Die Holzschnitte und Radierungen zeigen klar voneinander abgegrenzte Formen, Rechtecke, Kuben, Kreise, Zylinderförmiges. Kein Chaos liegt ihnen zugrunde, keine Auflehnung, sogar ein auf den ersten Blick sich gänzlich verschließender Inhalt. Aber eben nur auf den ersten Blick.
Es mag kaum ein Zufall sein, dass das überwiegende Motiv Schrollers das des Fensters oder der Tür ist, was in der künstlerischen Symbolsprache so viel bedeutet wie der Übergang zu etwas Neuem oder im negativen Pendant der Verschluss des Alten. Die Fenster und Türen sind oftmals nur halb geöffnet, man erkennt etwas, aber nicht genug, um die ganze Geschichte erzählen zu können. Es scheint sogar eher so, als wäre in all der Stille der klaren Strukturen die Geschichte schon passiert und würde nun überlagert von einer verharrenden Wahrheit einer beinahe endgültig wirkenden Formensprache.
Es ist diese Kombination aus scheinbarer Stille, Endgültigkeit und der sprichwörtlichen Ruhe vor dem Sturm, durch die Schroller seinen Werken diese wunderbare Zweideutigkeit verleiht. Die eigensinnige Komposition aus Licht und Schatten spiegelnder Fensterscheiben, Faltrollos, immer wieder Rahmen im Viereck des Formates, Fächer und Kisten – hält das Chaos, das geheimnisvolle, den Abgrund hinter den Dingen unter Verschluss, während das alles dahinter doch deutlich spürbar wird. Sein Werk „Archiv“, das gleichsam der Ausstellung den Namen gab, steht dafür symptomatisch: Das bekannte Fenster, dahinter gestapelte Kisten, der verdoppelte Verschluss, wenn man so will, in klaren Formen sichtbar gemacht, das archivierte Geheimnis, das in feste Strukturen gebannt vor sich hin staubt und doch gleichzeitig ein kaum einzuschätzendes Innenleben mit sich trägt.
„Der überindividualisierten Welt wird ein Ausdruck von Sachlichkeit gegenüber gestellt“, sagt Mittendorf über Schrollers Kunst. Er hat nur zum Teil recht. Denn die Sachlichkeit ist immer dann am klarsten in dem Moment, nach dem alles auseinander bricht. Und dieser Moment ist in Schrollers Werken allgegenwärtig.